Karfreitagsgedanken

PSALM 22 erster Teil

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. 
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,
und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. 

Unsere Väter hofften auf dich;
und da sie hofften, halfst du ihnen heraus. 
Zu dir schrien sie und wurden errettet,
sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden. 

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
ein Spott der Leute und verachtet vom Volk. 
Alle, die mich sehen, verspotten mich,
sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: 
»Er klage es GOTT, der helfe ihm heraus
und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.« 

Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen;
du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter. 
Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an,
du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an. 
Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;
denn es ist hier kein Helfer.

Gewaltige Stiere haben mich umgeben,
mächtige Büffel haben mich umringt. 
Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf
wie ein brüllender und reißender Löwe. 
Ich bin ausgeschüttet wie Wasser,
alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst;
mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. 
Meine Kräfte sind vertrocknet.

Aber du, GOTT, sei nicht ferne;
meine Stärke, eile, mir zu helfen! 


EVANGELIUM nach Matthäus 27, 33-5433

Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie Jesus Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 

Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 

Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! 


GEDANKEN

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Jesus betet. Schreiend wendet er sich Gott zu. Verzweifelt hält er fest an dem, von dem er sich verlassen fühlt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Es ist der Beginn des 22. Psalms. Ein Gebet, das zur Zeit Jesu schon alt war. Worte, die so viele vor ihm gebetet haben, und so viele nach ihm. Worte, die Menschen zu ihren machten und machen, weil sie genau das treffen, was sie empfinden. Betende in alten Zeiten, genauso wie in den Konzentrationslagern des 2. Weltkriegs und noch heute. Juden und Christen. Menschen in äußerer und innerer Bedrohung.

Wenn Jesus so betet, reiht er sich ein unter sie alle. Und sie alle sind mit herein genommen in dieses Geschehen auf Golgatha. Alle, die verlassen sind, die zweifeln und ver-zweifeln am Leben, an sich selber, an Gott. Alle Verfolgten, alle die von Feinden umgeben sind oder von anderen Schrecken können sich in diesem Psalm finden. Alle Leidenden treten in diesem Gebet neben Jesus und alle, die man verachtet – offen oder insgeheim.

Irgendwo mittendrin in Psalm 22 kommt der Satz: „Du hast mich erhört.“ Und dann mündet das Gebet in ein Lob Gottes. „Denn Gott hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; und da er zu ihm schrie, hörte er’s,“ heißt es da. Jesus hat das wohl gewusst.An den Karfreitagen des Lebens ist nichts von der Hilfe Gottes zu sehen, nichts vom Wohlwollen und von der Liebe Gottes zu spüren. Aber wissen dürfen wir es: Gott wendet sich nicht ab! Gott ist da und bleibt da. Wer immer irgendwo auf der Welt mit Jesus schreit – „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ – darf mit Jesus auch wissen: Gott verlässt uns nicht. Im Leben nicht und im Sterben nicht.

Pfarrerin Anneliese Peterson

Zuletzt bearbeitet am: 28.03.24, 11:13
Geschrieben von: anpe
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