Predigt Harald Pilz

Schöpfungsverantwortung – Konflikt – Dialog

Predigt in Korneuburg am 29.4.2012

Flipchart mit dem Titel: Schöpfungsverantwortung
(erweitert um „moderne“ Begriffe wie „Umweltschutz“ oder
„Nachhaltigkeit“) – in welchen Bereichen besteht eigentlich heute dringender Handlungsbedarf? Welche Stichworte
fallen Ihnen dazu spontan ein?
Themen, die am 29.4. von den Gottesdienstbesuchern genannt wurden:



Evt. „Nachhaltigkeit“ definieren: zukunftsfähig leben/gestalten/wirtschaften, in ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht …
Klimaschutz, Energieverbrauch: ich möchte Ihnen zu Beginn noch ein Tortendiagramm zeigen, das ich beruflich oft verwende: Es zeigt, aus welchen Teilen sich die Treibhausgasemissionen zusammensetzen, die ein durchschnittlicher Österreicher erzeugt: … …



Die Wissenschaft sagt uns ziemlich eindeutig, dass wir unseren Klimafußabdruck zumindest halbieren sollten, wenn wir zukunftsfähig leben wollen. Das würde aber bedeuten, dass wir zB überlegen sollten:
• Was müsste ich verändern, um den Energiebedarf zum Heizen mindestens zu halbieren, und nur mehr mit
erneuerbarer Energie zu heizen? Das kostet ja auch einiges; kann ich mir das leisten?
Was müsste ich verändern, um ohne eigenes Auto auszukommen? Nur mehr öffentliche Verkehrsmittel benützen – das braucht ja oft viel mehr Zeit. Oder ich müsste womöglich umziehen – vom Land in die Stadt.
Wir sehen: solche Veränderungsprozesse bringen schon in uns selbst Konflikte zum Vorschein: Umwelt contra Zeit contra Finanzen contra Convenience.
• Thema Stromerzeugung. Wie soll den Strom am besten, also umweltfreundlich erzeugt werden? Nicht durch Verbrennung von Öl oder Gas, sagen die einen, das ist schlecht fürs Klima. Dann doch besser mit Kernkraftwerken, natürlich mit sicheren? Und was machen wir dann mit den radioaktiven Abfällen, fragen
uns unsere Urururururenkel? Mit Windrädern? Nicht bei uns im Ort, sagen viele, die verschandeln die Landschaft. Mit Photovoltaik? Viel zu teuer, sagen andere, das gibt soziale Probleme, wenn der Strom doppelt so teuer wird. Oder durch Verbrennung von Biomasse? Wir haben nicht genug Flächen, sagen andere, um gleichzeitig genug Lebensmittel, genug Brennstoffe und genug nachwachsende Rohstoffe für eine wachsende Weltbevölkerung zu erzeugen. Also einfach weniger Strom verbrauchen? Ist auch nicht so einfach; Österreichs Energieexperten sagen trotz aller Spar- und Effizienzmaßnahmen einen steigenden Stromverbrauch voraus, weil ja zB die Hälfte der Autos in 40 Jahren mit Strom fahren soll. Und schon sind wir wieder bei den Konfliktfeldern rund die Mobilität:
Soziale Gerechtigkeit für Pendler, oder doch Wohnen und Arbeiten am gleichen Ort, oder doch doppet so viel Züge, aber nein, nicht durch unseren Ort.
Um Lösungen für Umweltschutz, Nachhaltigkeit & Schöpfungsverantwortung zu finden, müssen aus meiner Sicht vor allem Interessenskonflikte gelöst werden. Konflikte im Spannungsfeld von Lebensqualität einerseits und wirtschaftlichen Interessen andererseits, im Spannungsfeld von Naturschutz einerseits und technischem Fortschritt andererseits, Konflikte, die oft auch kulturelle und soziale Komponenten haben.
Werden diese Konflikte so gelöst, dass alle Betroffenen (die Umwelt / zukünftige Generationen eingeschlossen) gut mit der Lösung leben können, ja die Lösung sogar aktiv mittragen können, dann hat sich die Welt oft ein Stück weit nachhaltig verbessert.
Beruflich beschäftige ich mich ja auf 2 verschiedenen Ebenen mit diesen Themen: Einerseits schreibe ich Studien, in denen ich zB den Klimafußabdruck von Produkten berechne. Aber noch viel spannender ist für mich die Arbeit als Mediator, wenn ich eine Runde von 10 – 20 Personen, die verschiedene Interessensgruppen vertreten, dabei unterstützen darf, in Konfliktsituationen gemeinsam eine Lösung zu finden.
Unter der großen Überschrift der Schöpfungsverantwortung begegnen uns also meiner Ansicht nach viele Konflikte, und für diesen Gottesdienst habe ich daher zum Thema „Konfliktlösung“ ein paar biblische Bilder zusammengetragen, die mich beeindrucken und die vielleicht gute Leitlinien für die eigene Haltung in Konflikten und für den Umgang miteinander in Konflikten sein können.
Natur- und Umweltschützer klagen ja oft wirtschaftliche Interessen und Gewinnmaximierung als eine wesentliche Triebfeder von Umweltproblemen an. So stehen gerade die Manager von gewinnorientierten Unternehmen im Kreuzfeuer der Kritik. Es gehe ihnen nur darum, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, auch wenn dies auf Kosten der Umwelt oder von Arbeitsstandards geht.
So ein schlechtes Image hatte wohl auch Zachäus – ein reicher Mann an der Spitze, und ein Ungustl, mit dem man wirklich nichts zu tun haben will. Jesus der nach Jericho kommt, sieht diesen Zachäus offenbar anders. Er sieht ihn als wertvollen Menschen, mit dem er sich gerne unterhalten würde. Vielleicht hätte Jesus heute gesagt: Der da, dieser Oberste der Zöllner, der ist einer der wichtigsten Stakeholder für soziale Nachhaltigkeit in dieser Stadt. Ein Gespräch mit ihm kann viel in Bewegung bringen. Und obwohl es die Leute
gar nicht gerne sehen, spricht er ihn an, ja er lädt sich sogar zu ihm ein. (Lukas 19).
1. Punkt am Flipchart: Menschensicht – Würde, Wertschätzung, Achtung
Auf dieser Basis entsteht Dialog, und vor allem echtes Zuhören. In der Begegnung mit Jesus findet Zachäus offenbar etwas für ihn sehr Wichtiges, ein zentrales Bedürfnis wird gestillt. Das macht ihn wiederum bereit für große Veränderungen – die Hälfte seines Besitzes gibt er den Armen.
Für mich stellt sich die Frage: Wie begegne ich Personen mit schlechtem Image? Kann ich Menschen, mit denen ich im Konflikt stehe, noch mit Würde & Achtung begegnen?
Mir fallen 2 Mediationsverfahren ein: eines mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund – es ging um Lärm am Spielplatz und die Belästigung für die Anrainer; das andere mit Hundebesitzern – es ging um Hundekot in der Stadt. In beiden Fällen ist in den Gesprächen langsam eine Haltung der Achtung und Wertschätzung entstanden und das hat alle Beteiligten verändert, und Lösungen ermöglicht. Haben Sie das auch schon erlebt: Angefeindete Menschen erfahren Wertschätzung und verändern sich?
Eine zweite Geschichte mit einem beeindruckenden Bild steht im Lukasevangelium, Kap 18, kurz bevor von der Begegnung mit Zachäus berichtet wird. Der Blinde Bartimäus schreit am Wegrand: Jesus, erbarme dich mein! Und offenbar stört er, weil er andere ihm drohen und verlangen dass er still ist. Aber er lässt sich nicht beruhigen.
– Eine typische Situation bei konfliktreichen Veranstaltungen, wo die Emotionen aufbrechen und die Wortmeldungen laut werden.
Was tut Jesus? Er fragt Bartimäus: Was willst du, dass ich dir tun soll? Aus der Erfahrung vieler Mediationsverfahren
kann ich bestätigen, dass das oft die Kernfrage ist: Was willst du? Worum geht es dir, was ist dir wirklich wichtig?
2. Punkt am Flipchart: Interessen/Bedürfnisse verstehen
Mediationsverfahren im 21. Wiener Gemeindebezirk: Neue Wohnblöcke würden das Ortsbild und Grünraum zerstören.
Nach 2 Jahren Konflikt sind die Beteiligten bereit zu einem Mediationsverfahren. Mit 17 VertreterInnen dauert das zwar 9 Monate, aber in dieser Zeit wird klar, dass es um 15 zentrale Interessen geht. Das gegenseitige Verstehen dieser Interessen (wirtschaftliche Interessen, Lebensqualität, Naturschutz) war die Voraussetzung dafür, dass am Ende ein Lösungspaket geschnürt werden konnte, das alle Interessen so gut wie möglich berücksichtigt, und das von allen Beteiligten mitgetragen wird.
Oft sind Umweltkonflikte natürlich auch schon „hoch eskaliert“, und nachdem sich nichts bewegt, werden über die Medien Gefechte ausgetragen, die mitunter auch unter die Gürtellinie gehen. Gesprächsversuche enden in hitzigen emotionalen Debatten über Werte, und über Schuldige.
Wie hat sich Jesus eigentlich in solchen Situationen verhalten?
Wieder eine Geschichte die sie wahrscheinlich gut kennen. Eine Ehebrecherin, auf frischer Tat ertappt, der erzürnte Mann, aufgebrachte Hüter der Sittlichkeit. Ganz klar, hier gibt es eine Schuldige, hier müssen Werte verteidigt werden, auch mit Steinen. Oder gab es doch auch andere Sichtweisen? Gab es Streit, ob es richtig sei, die Frau zu steinigen?
Die Meute konfrontiert jedenfalls zu Jesus mit dieser Frage (Johannes 8).
Und was tut Jesus? Er schreibt mit dem Finger auf die Erde.
Was hat er wohl geschrieben? Wir wissen es nicht. Aber irgendwie muss er die Menschen dort abgeholt haben, wo sie gerade waren, in ihren Emotionen, in ihrem Ärger, und
irgendwie hat er es geschafft, sie zum Zuhören, zum Nachdenken, zum Verstehen zu bewegen. „Ist jemand von
euch ohne Sünde?“ – das ist die Frage die er in den Raum stellt. Und einer nach dem anderen stellt sich diese Frage, und lässt dann den Stein doch wieder fallen.
Das, was hier geschieht, nennen wir in Mediationsverfahren einen
3. Punkt am Flipchart: „Perspektivenwechsel“
Die Sichtweise des „Anklägers“ verlassen, die allzu schnellen Urteile und Beurteilungen beiseitelassen, und die Sichtweise des anderen einnehmen. Das was der andere denkt und tut – kann ich das verstehen? Geht es mir manchmal genauso?
Kann ich mich in die Welt des anderen hineinversetzen? Das sind Fragen, die auch in eskalierten und festgefahrenen Konflikten einen konstruktiven Dialog entstehen lassen können.
Es ermutigt mich, zu sehen, wie Jesus mit Menschen umgeht, die angefeindet werden oder die in Konflikten stehen. Er zeigt gerade den gering geachteten Menschen Achtung und Wertschätzung; er begegnet den Menschen verstehend und mitfühlend, oder „empathisch“, wie wir heute sagen. Jesus sucht das Gespräch, auch wenn das gegen soziale Konventionen geht. Er spricht die Frau am Brunnen an, obwohl sie eine Frau und noch dazu Ausländerin ist. Er unterhält sich mit Nikodemus, obwohl der doch zu der Gruppe der scharfen Jesus-Kritiker gehört.
Diese Haltung der Wertschätzung, des Verstehens, des Zuhörens und des Dialog, brauchen wir auch für die Interessenskonflikte im Umweltbereich. Und als Christen haben wir nicht nur das Vorbild von Jesus, sondern auch seinen Geist, der in uns lebt und uns immer wieder Kraft gibt, den gleichen Weg einzuschlagen.
Ich möchte schließen mit Versen aus Matthäus Kapitel 5, in denen er uns seine radikale Haltung mit auf den Weg gibt:
Matthäus 5, 44-48


Zuletzt bearbeitet am: 24.09.12, 11:35