Predigt über 1. Mose 2, 15 in der Predigtreihe „Schöpfungsverantwortung“, gehalten am 13. Mai 2012 in der Kirche in Langenzersdorf von Dr. Bernd Jaeger
„Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ 1. Mose 2, 15
Blicken wir heute zum Thema Schöpfungsverantwortung zuerst nicht darauf, was der Mensch gemacht hat, was er aus der Welt gemacht hat: Wie er mit Tieren umgeht, Pflanzen behandelt, Ressourcen plündert, CO₂ als Klimakiller produziert, kurz: Natur und Umwelt belastet und zerstört! Das alles und noch viel mehr macht der Mensch. Trotzdem – so beklemmend das ist – sehen wir heute zuerst nicht darauf! Betrachten wir den Menschen im Lichte der Geschichte, die wir gehört haben. Das ist im Lichte dessen, was der Mensch nicht gemacht hat.
Der Mensch hat die Welt nicht gemacht. „Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Himmel und Erde machte.“ (1. Mose, 2, 4) So beginnt die biblische Geschichte von der Erschaffung der Welt (im zweiten Kapitel der Genesis). Auf diesen Anfang blickt die Geschichte zurück, aber nicht, um diesen Anfang zu erklären, ob es da vielleicht eine riesige Explosion gab, eine Kernspaltung oder einen Urknall. Nein, diese Geschichte blickt auf den Anfang, um den Menschen etwas klarzumachen, die Einsicht nämlich: Die Welt wird nicht vom Menschen gemacht. Sie war schon da, als der Mensch entstand.
Welche Vorstellung auch immer wir von Gott haben, von dem die Bibel sagt, er schuf Himmel und Erde, und selbst dann, wenn einer gar nicht an Gott glaubt, muss er doch zugeben: Der Mensch hat die Welt nicht hervorgebracht. Die Lebensmöglichkeiten, durch die menschliches Leben erst entstehen konnte, waren vorher da. Und auch, wenn es heute so aussieht, als könne der Mensch über das Leben verfügen und mit Hilfe von Technik und Medizin in die Lebensprozesse eingreifen und sie steuern, aber sich selbst ins Leben rufen, selber Schöpfer des eigenen Lebens sein, das ist noch keinem Menschen gelungen. Der Mensch findet sich vor in Lebenszusammenhängen, die er nicht selber gemacht hat und die er auch nicht selber hervorrufen kann.
Diesen Zusammenhang skizziert die Geschichte vom Anfang der Welt. Wir kennen sie als Paradiesgeschichte. Das Paradies wird hier aber gar nicht erwähnt. Vom Garten Eden ist hier die Rede. Eden heißt so viel wie „Wonne“. Ein Garten mit „allerlei Bäumen“, ein schattiger Park, oft auf Bildern in der Kunstgeschichte so dargestellt, „verlockend anzusehen“ (1. Mose 2, 9), ein Traumreiseziel (ohne Handy, ohne Internet) – und doch: kein erträumter Ort ist der Garten Eden, sondern sehr real und geografisch feststellbar. Er wird bewässert von zwei Flüssen, die man kennt: Euphrat und Tigris.
Vor allem aber: Was für ein freundlicher Ort das ist! Der Lebensraum für den Menschen, überwältigend schön, geborgen, mit einer Fülle an Möglichkeiten, das Leben zu gestalten und sich am Dasein zu freuen. Ein Garten des Lebens, wo das Leben stimmig ist, in Ordnung. Manche von Ihnen haben ihn – stelle ich mir vor – wirklich vor Augen, den eigenen Garten, ihren Garten, den es noch gibt, der gepflegt wird und den man genießen kann. Oder irgendeinen anderen Garten, wo man zu Besuch war. Oder den, an den man sich erinnert und der in Träumen lebendig ist. Das ist dann auch ein Garten, der als Glücksort erlebt wird, als Ort der Geborgenheit, wo man Freude empfindet und zur Ruhe kommt oder die Sehnsucht danach spürt. Darin unterscheiden sich die eigenen Gärten gar nicht so sehr vom Garten Eden, habe ich den Eindruck.
Der Garten Eden - das ist die Welt, so wie sie ursprünglich gedacht ist von Gott, eine Welt für den Menschen, durch und durch gut. Eine gewaltlose Welt. Am Anfang steht das große Ja Gottes zum Leben, steht sein schöpferischer Wille, das Leben zu ermöglichen und zu fördern. Und der Mensch, jeder Mensch ist von Künstlerhand geschaffen. Er kann und soll seine Begabungen kreativ nutzen. Er kann und soll seine Möglichkeiten ausschöpfen. Er ist wertvoll und wird wertgeschätzt, dass er seinen Teil dazu beiträgt, das Leben und Lebensgrundlagen zu erhalten.
Das Leben zu fördern, das steht nach der Vorstellung der Bibel am Anfang der Welt. Nicht die Durchsetzung auf Kosten anderer. Nicht die rücksichtslose Selbstbehauptung, nicht die brutale Unterordnung der Umwelt unter die eigenen Interessen. Sondern der Schutz aller Geschöpfe, das Empfinden, in einen großen umfassenden Zusammenhang des Lebens zugehören, den es bewahren gilt. Leben, das nicht wie ein Wegwerf-Produkt zu behandeln ist, weil es unendlich wertvoll und kostbar ist.
Das ist die Vorstellung, die im biblischen Schöpfungsbericht leitend ist. Deshalb steht da: „Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Wer Schönheit und Wert der Natur entdeckt und die Welt als einzigartigen Garten des Lebens erlebt, wird er Bestimmung Gottes zum Menschsein gerecht und wird verantwortlich mit der anvertrauten Natur umgehen.
Von Gott als Schöpfer reden bedeutet nicht, über den Anfang der Welt spekulieren. Das liegt nicht im Interesse der Paradiesgeschichte. Wenn wir an Gott den Schöpfer denken, fragen auch wir nicht nach den Ursprüngen der Menschheit. Wir erforschen die Spuren der Neandertaler, wir suchen nicht nach Wandmalereien in Felsenhöhlen.
Wir fragen vielmehr nach Gott, nach dem alles umfassenden und verborgenen Grund unserer Wirklichkeit. Denn genau genommen ist Gott überall gegenwärtig. Es gibt keinen Bereich unserer Wirklichkeit, in dem er nicht unsichtbar anwesend ist. In allem ist er da und wirksam, aber die Weise seiner Anwesenheit ist doch weit mehr als die Summe seiner Wirksamkeit. Gott gehört ja nicht in unsere Welt wie ein Baum, ein Auto oder eine DVD. Wie gesagt, in allem, was zu unserer Welt gehört, ist er auf verborgene Weise tätig und ist doch zugleich weit mehr und anderes als das.
Auch in unserem Leben ist Gott überall gegenwärtig, ob wir nun zur Arbeit gehen, ein Buch lesen oder mit unseren Kindern spielen. Es gibt keinen Augenblick in unserem Leben, in dem er uns nicht beschenkt, leitet und mahnt und als Stimme unseres Gewissens uns zu verantwortlichem Tun auffordert.
Martin Luther hat unvergleichlich anschaulich darstellen können, wie dieser Glaube, dass Gott alles in allem ist in die Erfahrungen des alltäglichen Lebens zu übersetzen ist, ja wie im konkreten Alltag unseres Lebens Gott als Schöpfer gegenwärtig und wirksam ist. Zum Satz des Glaubensbekenntnisses: „ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erden“ schreibt er: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen, mir Leib und Leben, Augen und Ohren und alle Glieder, Vernunft und Sinne gegeben hat und noch erhält. Dazu Kleider und Schuhe, Essen und Trinken“ und er führt diese Reihe fort, indem er Familie, Besitz erwähnt und vor allem auch die Erfahrung, ein tägliches Auskommen zu haben.
Luthers Gedanke ist, dass wir – viel mehr als uns das oft bewusst ist – beschenkt sind, dadurch dass wir eine Lebensgrundlage und Lebensmittel haben, dadurch dass wir leben und arbeiten können und vor allem auch dadurch dass wir Menschen haben, die zu uns gehören. Das alles verdanken wir letzten Endes nicht uns selber, sondern Gott. Wie Martin Luther diesen Gedanken herunterbricht in die konkrete Lebenserfahrung, das kann auch heute anregend sein für eine Spurensuche Gottes im eigenen Leben. Gerade wer vieles im Leben erreicht hat, für sich und für andere in einem langen Arbeitsleben, wird ein Gespür dafür haben, was dabei aus eigenen Kräften heraus erreicht wurde und was dabei ein unverdientes Geschenk des Lebens war, wofür man zutiefst nur dankbar sein kann.
Das betone ich auch, damit es uns und mir nicht so geht wie jenem Pfarrer, von dem in einer Anekdote erzählt wird. Der kam eines Tages zur Zeit der Ernte am Hof eines Bauern vorbei. Dieser Bauer hatte den Hof vor einigen Jahren übernommen, der völlig heruntergewirtschaftet war. Aber mit großer Energie schaffte er es nach und nach, diesen Hof wieder flott zu machen. Der Pfarrer sieht den Bauern fleißig im Garten arbeiten. Es ist die Zeit der Ernte. Er ruft ihn zu sich, deutet auf das reife Korn, Obst und Gemüse und sagt: „Na, du weißt doch aber auch hoffentlich, wem du das alles hier zu verdanken hast?!“ der Bauer entgegnet: „Das weiß ich wohl, Herr Pfarrer, aber mit Verlaub, Sie hätten mal vorbeischauen sollen, als der liebe Herrgott hier noch alleine gewirtschaftet hat.“ - Nichts gegen das, was wir tun können. Das ist viel wert. Aber dass wir leben und arbeiten können, dass wir unser Leben verantwortlich gestalten können, hängt immer auch von Voraussetzungen ab, die wir letzten Endes nicht in unserer Hand haben.
Darum noch einmal: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Es ist Gottes liebevolle Zuwendung an uns, der wir unser Leben verdanken. Sein einziger Wille ist, Leben zu fördern. Darum ist uns unser Leben als einzigartiges Geschenk gegeben, damit wir es bebauen und bewahren, seinen Wert und seine Schönheit täglich neu entdecken, seine paradiesischen Dimensionen wahrnehmen und erfahren, wie es immer wieder von Gottes Liebe ergriffen und durcheinander gewirbelt werden kann.
Und dann: Den Garten des Lebens bebauen und bewahren, das ist unser Leben als den von Gott gegebenen Lebensraum annehmen und so gestalten, dass Gottes Wille, Leben zu fördern auch in unserem Tun ansatzweise deutlich wird. Auch in der Art und Weise, wie wir das weite Feld unserer Beziehungen bebauen und bewahren. Und durch unser Verhalten es für die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, erfahrbar wird, dass liebevolle Zuwendung das Leben fördert - und das Gegenteil, nämlich Missachtung und Gleichgültigkeit das Leben gefährdet.
Das betrifft genauso unseren Umgang mit der Natur. Sie ist als Schöpfung, die nicht wir Menschen gemacht haben, uns anvertraut. Damit wir sie bebauen, nutzen und erhalten und nicht sie zerstören, plündern und ihr Gewalt antun. Wenn wir in diesem Sinne Welt und Leben als Garten Gottes bebauen und bewahren, dann wird der Anfang, als Gott Himmel und Erde machte, immer wieder zu unserer Gegenwart, in der eine gute Zukunft für uns offen steht.
Amen.
- Zuletzt bearbeitet am: 24.09.12, 11:35